Ernährungs-Medizin: Kaffee & Anti-Aging

 

Präventiv-Mediziner Prof. Dr. Kurscheid im Exklusiv-Interview

kurscheid-1.jpg

Professor Dr. med. Thomas Kurscheid zählt zu den bekanntesten Ärzten Deutschlands. Der Fachbuch-Autor, Hochschuldozent, Sport- & Ernährungs-Mediziner mit Kölner Praxis ist oft in den Medien präsent und beweist in Wissenschafts-Magazinen Kaffee-Kompetenz pur. Doch zu welcher Tageszeit genießt man das schwarze Gold am besten? Kann Kaffee wirklich unsere Fitness erhöhen, Depressionen lindern und unsere geistige Leistungs-Fähigkeit steigern? Ist der Bohnentrank gar das neue Obst? Eine Kaffee-Konsultation.

Die gute Nachricht zuerst: Kaffee hält jung! Warum das so ist? Kaffee ist imstande einen zentralen Alterungsschalter unserer Körper-Zellen namens mTOR (“mechanistic Target of Rapamycin”) umzulegen. Vereinfacht gesagt: Sobald mTOR aktiviert wird, kurbelt das den Alterungsprozess an. Kaffee hemmt mTOR und bewirkt damit einen positiven Anti-Aging-Effekt.
Die noch bessere Nachricht: Zudem mehren sich die Hinweise, dass Kaffee schädliche Entzündungs-Prozesse in Schach hält. Auch diese lassen uns schneller altern. Kaffee hat darüber hinaus eine Schutzwirkung auf alle Körperzellen: Mit Strategie getrunken bewahrt uns der Bohnentrank vor oxidativem Stress. Was bedeutet das in der Praxis? Wir haben einmal genauer nachgefragt!

Anders als in der Industrie, die mit Wirbelstromverfahren arbeitet, legt man in unserer hauseigenen Kaffee-Rösterei in Düsseldorf-Reisholz Wert auf einen langsamen Röstvorgang – bis zu 22 Minuten lang. Anschließend werden unsere Bohnen schonend mit Luft gekühlt, um ein unkontrolliertes Weiterrösten zu vermeiden. Ist „guter Kaffee“ die einfache Lösung, um gesundheitlich auf der sicheren Seite zu sein?

Prof. Kurscheid: Eine derart langsame Röstung hat den Vorteil, dass Trigonellin, ein Alkaloid, in Vitamin B3 umgewandelt wird. Röstkaffee sichert damit einen Teil unseres Tagesbedarfs an einigen Vitaminen des B-Komplexes. Werden die Bohnen entsprechend lange geröstet, wird ihnen außerdem schädliche Chlorogensäure entzogen, welche Magenschmerzen verursachen kann und den Kaffee zudem säuerlich schmecken lässt.

Meet the Machine: “Unser neuer ´Kollege´ ist eine Kapazität: Zählt doch der Probat-Kaffeeröster zu den größten und besten Röstmaschinen Deutschlands!”

Meet the Machine: “Unser neuer ´Kollege´ ist eine Kapazität: Zählt doch der Probat-Kaffeeröster zu den größten und besten Röstmaschinen Deutschlands!

Wer gleich nach dem Aufstehen Kaffee trinkt, um wach zu werden, macht alles falsch, behaupten aktuell amerikanische Kaffeeforscher. Wann wäre nach Ihrer Meinung die beste Tageszeit dafür?

Wenn unser Kortisolspiegel wieder sinkt: Denn gleich nach dem Aufwachen – etwa zwischen 8 und 9 Uhr morgens, das variiert individuell – schüttet unser Körper Stresshormone aus, die unseren Stoffwechsel aktivieren. Wer jetzt Kaffee trinkt, der genießt vielleicht sein Aroma. Als Muntermacher erfüllt er jedoch noch keinen Sinn: Wacher als bei maximaler Ausschüttung von Kortisol kann der Körper nicht werden. Am besten erst nach 9 Uhr Kaffee trinken, um morgens auf Touren zu kommen!

Gibt es weitere Zeiten, zu denen der Kortisol-Wert dank des natürlichen Biorhythmus besonders hoch ist?

Das ist einmal zwischen 12 und 13 Uhr und abends zwischen 17.30 Uhr und 18.30 Uhr. Am meisten hat man also von der Wirkung des Koffeins, wenn man seinen Kaffee außerhalb dieser Zeiten trinkt. Die Tradition des Nachmittags-Kaffees ist begründet: Um diese Zeit getrunken bringt Kaffee unsere Rezeptoren wieder auf Vordermann.

Was ist mit Menschen, die besonders früh oder spät aufstehen und für welche die 9-Uhr-Regel oder Gleich-nach-dem-Aufstehen-Regel keinen Sinn macht?

Sie sollten nach dem Aufwachen mindestens eine Stunde, besser 90 Minuten warten, bis sie ihren ersten Kaffee trinken. Denn nach dem Aufwachen ist der Wert des Kortisols immer um etwa 50 Prozent erhöht, unabhängig von der Uhrzeit.

Einige Studien bescheinigen dem Koffein, dass es den Appetit zügelt. Des Weiteren werden Stoffwechsel und Fettverbrennung angekurbelt. Hält Kaffee uns schlank?

Zumindest hat er einen thermogenen Effekt und regt so die Spaltung der Fette an. Damit beeinflusst er – moderat! – den Kalorienverbrauch. Kaffeetrinker können nach aktueller Studienlage beim Abnehmen einen geringeren Body Mass Index (BMX) erreichen und ihr neues Gewicht langfristig besser halten. Verantwortlich dafür ist möglicher Weise das Koffein, das den Körper zu erhöhtem Energieverbrauch und verbesserter Fettverbrennung anspornt.

“Gesundheit ist Balance.” – Professor Dr. med. Kurscheid gilt als Experte für Ernährungs- und Präventivmedizin

“Gesundheit ist Balance.” – Professor Dr. med. Kurscheid gilt als Experte für Ernährungs- und Präventivmedizin

Nach einer Tasse Kaffee gehen kreative Aufgaben oft leichter von der Hand: Regt Koffein unsere geistige Leistungsfähigkeit an bzw. verbessert er unser Gedächtnis wirklich so signifikant?

Kaffee wirkt Antrieb steigernd und beeinflusst unsere Leistungsbereitschaft positiv. Er hat jedoch eine relativ kurze Halbwertzeit: Fällt der Koffein-Pegel später, sinkt die Leistungsfähigkeit oft sogar unter das Ausgangs-Niveau: Die Energie war eben nur geborgt. Irgendwann muss sich eine Zelle erholen, mit Koffein lässt sich die Erschöpfung lediglich hinauszögern.

Bei regelmäßig hohem Konsum bleibt der erwünschte Effekt aus. Wie gewinnt man den Koffein-Kick zurück und welche Mechanismen bewirken ihn?

Blockiert das Koffein Adenosin-Rezeptoren verhindert es damit, dass wir müde werden. Je aktiver unsere Nervenzellen sind, desto mehr Adenosin wird ausgeschüttet. Normalerweise. Koffein besitzt aber eine ähnliche Struktur wie Adenosin und kann dadurch an den gleichen Rezeptoren andocken. Folglich wird an die Nerven-Zellen kein Signal zum langsameren Arbeiten gesendet, sie arbeiten weiterhin auf Hochtouren. Mit der Zeit bildet der Körper jedoch neue Andockpunkte für das Adenosin heraus. Um den Kick zu erhalten, muss man dann die Zufuhr entweder ständig erhöhen oder für ein paar Tage aussetzen. So tritt relativ schnell wieder eine Entwöhnung ein.

Ist durch die Gewöhnung auch das Paradoxon zu erklären, dass der Kaffee bei manchen Menschen sogar als Einschlafhilfe funktioniert?

Dieses Phänomen kann genetisch bedingt sein, zehn Prozent der Weltbevölkerung reagiert nicht auf Koffein. Auch andere Ursachen sind möglich: Speziell bei älteren Menschen findet nach dem Kaffeegenuss eine bessere Gehirndurchblutung statt, dazu addiert sich ein Entspannungseffekt durch die Wärme. Wer sich gleich danach hinlegt, verkürzt die Einschlafzeit. Der Kaffee müsste dazu aber förmlich auf der Bettkante getrunken werden.

Dass Kaffee ein Naturprodukt ist und seine Inhaltsstoffe gesunde Synergien entfalten, ist eine gute Nachricht für „Coffee-Geeks“: Ist Kaffee am Ende sogar das neue Obst?

Fakt ist, dass Kaffee eine Reihe von B-Vitaminen enthält: B2, B5, B6; insbesondere Vitamin B3, das wir zur Energiegewinnung und Bildung wichtiger Botenstoffe im Gehirn benötigen. Nicht alle Menschen schaffen die empfohlene Tagesmenge an Obst und Gemüse. Auf diese Weise führen sie sich immerhin ein paar wertvolle Pflanzen-Vitamine zu.

Welche Zubereitung empfehlen Sie, damit die hochwertigen Antioxidantien darin ihr volles Potenzial ausspielen können: Muss Kaffee dafür pur genossen bzw. schwarz getrunken werden?

Nicht unbedingt, Milch im Kaffee hat zwei Effekte: Erstens neutralisiert sie diejenigen Säuren im Kaffee, die bei empfindlichen Menschen die Magenschleimhaut reizen. Zweitens sorgt das Milch-Fett dafür, dass das Koffein langsamer aufgenommen wird. Mit anderen Worten: Schwarzer Kaffee bringt zwar den schnelleren Kick, die Wirkung von Milchkaffee ist jedoch sanfter und nachhaltiger.

Düsseldorfs Top-Referenz für Kaffee-Kompetenz: Latte Arte- & Lebenskunst à la Zurheide, Foto: Patricia Wellmann

Düsseldorfs Top-Referenz für Kaffee-Kompetenz: Latte Arte- & Lebenskunst à la Zurheide, Foto: Patricia Wellmann

In südlichen Ländern wird in Cafés häufig ein Glas Wasser zum Kaffee gereicht. Zählt dieser eigentlich als Flüssigkeit oder dehydriert er unseren Körper?

Der entwässernde Effekt tritt nur auf, wenn man nicht an Koffein gewöhnt ist: Nach einer Weile steuert der Körper natürlich gegen: Die Diurese wird dann nicht mehr angekurbelt, der harntreibende Effekt entfällt. Generell können wir deshalb den Kaffee ohne weiteres unserem Flüssigkeitskonto zuschreiben. Das Glas Wasser zum Kaffee macht trotzdem Sinn, weil es die Zähne vor Säuren, Gerbstoffen und Zahnstein schützt, die zu Flecken und Verfärbungen führen können. Zahnstein wiederum begünstigt Kariesbakterien. Also am besten die Kontaktzeit der Zähne mit dem Kaffee verkürzen!

Aha – Kaffee ist also doch ein Zahnteufel?

Nicht, wenn Sie den Mund hinterher gut spülen bzw. anschließend Wasser trinken. Das macht das Bleaching überflüssig und erleichtert dem Zahnarzt bei der nächsten professionellen Zahnreinigung die Arbeit.

Hat das alte Hausrezept, beim ersten Anflug von Migräne einen Espresso mit Zitrone zu trinken, eigentlich seine Berechtigung?

Unser Schmerzgeschehen ist sehr komplex. Dass Kopfschmerz-Tabletten auch Koffein enthalten, ist sicher kein Zufall. Nach Aussage des Herstellers steigert sich ihre Wirkung dadurch nochmals um 30 bis 70 Prozent, so dass sich in dieser Kombination bei gleicher Effektivität die Dosis der Einzelwirkstoffe verringert. Eine der häufigsten Ursachen für Kopfschmerzen (wohlgemerkt: nicht für Migräne!), welche viele übersehen, ist fehlende Flüssigkeitszufuhr. Meine Faustregel: pro Stunde ein Glas Wasser trinken. Viele vergessen das und versuchen das Defizit abends literweise aufzufüllen. Wir sind aber keine Kamele, die sich die Höcker vollsaufen. ;-)
INTERVIEW: CLAUDIA ROOSEN

Schalk im Nacken: Véronique Witzigmann und Thomas Kurscheid bei Zurheide. Foto: Angela Berg

Schalk im Nacken: Véronique Witzigmann und Thomas Kurscheid bei Zurheide. Foto: Angela Berg

 
Kaffee, TrendsClaudia Roosen